Armut? Abschaffen!
Bündnis-Aufruf: Für soziale Sicherheit und gerechte Verteilung
Mit einem gemeinsamen Aufruf kritisiert ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, dem Mieterbund, Pro Asyl und Erwerbslosen-Initiativen Forderungen nach sozialen Kürzungen und verurteilt die aktuelle Stimmungsmache gegenüber schutz- und hilfebedürftigen Menschen scharf.
Für soziale Sicherheit und eine gerechte Verteilung – gegen Sozialstaatsabbau und Hetze gegen Leistungsberechtigte
"Der Sozialstaat ist ein wesentliches Fundament der Gesellschaft in Deutschland. Der Sozialstaat gewährleistet soziale Sicherheit, unterstützt eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und ist die Grundlage des demokratischen und friedlichen Zusammenlebens. Der Sozialstaat organisiert Solidarität unter gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern und bringt zum Ausdruck: wir stehen füreinander ein. Das gebietet unsere Verfassung und das ist gut so! Demokratie und soziale Grundrechte gehören zusammen.
Ein guter Sozialstaat umfasst tariflich entlohnte und sichere Erwerbsarbeit, verlässliche Absicherung für die Wechselfälle des Lebens, Schutz gegen Armut und Unterstützung durch soziale Dienste und Infrastrukturen. Ein integraler Bestandteil des Sozialstaates sind die Leistungen der Grundsicherung. Sie sollen als unteres Netz im Bedarfsfall ein menschenwürdiges Existenzminimum garantieren.
Aktuell ist der Sozialstaat bedroht. So wird gefordert, zur Haushaltskonsolidierung Sozialleistungen zu kürzen oder gar das Bürgergeld abzuschaffen. Wir stellen uns allen Forderungen entgegen, die den Sozialstaat in einem seiner Bestandteile beschädigen. Wir stehen gemeinsam gegen die Prekarisierung von Arbeit, den Abbau von Leistungen der Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung, gegen Leistungskürzungen bei den Ärmsten unserer Gesellschaft und gegen Kürzungen bei den sozialen Dienstleistungen.
Wir stehen für gesamtgesellschaftliche Solidarität. Solidarität darf nicht vor den Wohlhabenden Halt machen: Starke Schultern müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. Haushaltskonsolidierung darf nicht zu Lasten des Sozialen gehen.
Fast eine Million Erwerbstätige mit geringem Einkommen, u.a. viele Solo-Selbstständige, müssen mit Bürgergeld aufstocken. Bei geringen Löhnen reichen die Leistungen der Sozialversicherung nicht immer zum Leben. Viele Erwerbsgeminderte und Altersrentner*innen leben in Armut und sind auf Grundsicherung angewiesen. Viele Menschen werden arm, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden.
Insbesondere stellen wir uns gegen Hetze sowie abwertende und ausgrenzende Diskurse gegenüber Bürgergeldbeziehenden und Geflüchteten. Alle Erwerbstätigen und alle Menschen ohne hinreichendes Einkommen brauchen Solidarität, soziale Sicherheit und einen verlässlichen Schutz vor Armut – erst recht in Zeiten des Umbruchs, der Transformation und der Verunsicherung.
Wir stellen fest und fordern:
- Gegen unzureichendes Erwerbseinkommen hilft keine Stimmungsmache gegen die Bezieher*innen von Grundsicherungsleistungen, sondern höhere Löhne und bessere Honorare. Die Tarifbindung muss gestärkt werden. Der Mindestlohn muss deutlich angehoben werden.
- Der soziale Ausgleich bei den Sozialversicherungen muss ausgebaut werden: wer entsprechend einzahlt, muss auch bei Arbeitslosigkeit, im Alter oder Erwerbsminderung und beim Bezug von Krankengeld auskömmliche Leistungen erhalten. Zur Vermeidung von Altersarmut müssen Lücken in der Erwerbsbiografie geschlossen und das Rentenniveau angehoben, zumindest aber stabilisiert werden.
- Die Leistungen der Grundsicherung müssen ein menschenwürdiges Existenzminimum garantieren und bei allen berechtigten Personen ankommen. Die aktuellen Leistungen sind zu niedrig und müssen auf den Prüfstand. Die Nullrunde 2025 führt zu Kaufkraftverlusten. Armut wird nicht verhindert.
- Soziale und berufliche Teilhabe muss für alle Menschen möglich sein. Beratung, Unterstützung, Weiterbildung und ggf. auch ein öffentlich geförderter Arbeitsplatz sind erfolgreiche Wege, um Erwerbslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dafür brauchen die Jobcenter mehr Geld.Wer dieses Geld verweigert, der spart nicht, sondern verschiebt Probleme in die Zukunft. Arbeitsförderung ist eine Zukunftsinvestition! Die ständigen Sanktionsdebatten helfen dagegen nicht bei der Förderung, sondern stigmatisieren und grenzen aus.
- Wohnen ist ein Menschenrecht und essenzielles Element eines menschenwürdigen Lebens. Ein hinreichendes Angebot an bezahlbaren Wohnungen ist durch einen stärkeren öffentlichen Wohnungsbau herzustellen, um den Wohnungsmarkt zu entspannen. Es braucht gesetzliche Regelungen, um den Anstieg der Mieten wirksam zu begrenzen. Das entlastet auch die öffentlichen Haushalte."
Aufruf von:
Gemeinsamer Aufruf von AWO Bundesverband e.V., Deutscher Caritasverband e.V. , Diakonie Deutschland, Der Paritätische Gesamtverband, SoVD, VdK, Volkssolidarität, DGB, ver.di, IG Metall, Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), Bündnis AufRecht bestehen, Arbeitslosenhilfe Oldenburg e.V., Tacheles e.V., Sanktionsfrei, Deutscher Mieterbund, Pro Asyl, Tafel Deutschland e.V., Zukunftsforum Familie e.V.
Weitere Informationen und Links zum Bündnisaufruf finden Sie auf der Seite des Paritäschen Gesamtverbands.
Paritätischer Armutsbericht 2024
Die Armut in Deutschland verharrt auf hohem Niveau, so das Ergebnis des neuen Paritätischen Armutsberichts: 16,8 Prozent der Bevölkerung leben nach den jüngsten Zahlen in Armut, wobei sich im Vergleich der Bundesländer große regionale Unterschiede zeigen. Fast zwei Drittel der erwachsenen Armen gehen entweder einer Arbeit nach oder sind in Rente oder Pension, ein Fünftel der Armen sind Kinder. Der Paritätische sieht wesentliche armutspolitische Stellschrauben daher insbesondere in besseren Erwerbseinkommen, besseren Alterseinkünften und einer Reform des Kinderlastenausgleichs.
Kinderarmut ist auf neuen Rekord gestiegen
„Die Befunde sind durchwachsen, aber einen Grund zur Entwarnung gibt es nicht“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. So scheine der Trend stetig wachsender Armut auf Bundesebene zwar auf den ersten Blick gestoppt, aber noch lange nicht gedreht. Nach dem Armutsbericht müssen 14,2 Millionen Menschen in diesem reichen Land zu den Armen gezählt werden. 2022 waren damit fast eine Million Menschen mehr von Armut betroffen als vor Pandemie, Energie- und Preiskrise im Jahr 2019 und 2,7 Millionen mehr als 2006. Insbesondere Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Menschen mit schlechten Bildungsabschlüssen oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind von Armut betroffen. Auf einen neuen traurigen Rekordwert ist nach der Studie zudem die Kinderarmut gestiegen: Mehr als jedes fünfte Kind ist mittlerweile von Armut betroffen (21,8 Prozent). Unter Alleinerziehenden lag die Armutsquote bei 43,2 Prozent.
Jede fünfte Person in NRW von Armut betroffen
Im Vergleich der Bundesländer zeigen sich große regionale Unterschiede. Während in Bayern jede achte Person von Armut betroffen ist, ist es in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Hamburg jede fünfte Person, in Bremen sogar fast jede dritte. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Armut in Berlin besonders stark gesunken (von 20,1 auf 17,4 Prozent), während sie in Hamburg, in Schleswig-Holstein und im Saarland besonders stark gestiegen ist.
Entschlossene Armutspolitik gefordert
Der Paritätische fordert die Bundesregierung zu einer entschlossenen Armutspolitik auf. Dazu gehört aus Sicht des Verbandes unter anderem die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro, der Ausbau der Kinderbetreuung, eine Kindergrundsicherung, die vor Armut schützt und eine solidarische Pflegeversicherung als Vollversicherung.
Diskussionsabend am 15. November, VHS Forum

Im FORUM Volkshochschule fand am 15.11.2023 ein Diskussionsabend statt. Oberthema: Armut? Abschaffen! Über das gesellschaftliche Problem der Armut und Lösungsansätze sprachen Dr. Joachim Rock, Abteilungsleiter Soziales und Europa, sowie Vertreter*innen von Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Köln. Die Moderation hatte Fernsehautorin Anke Bruns. Zu Wort kamen auch zahlreiche Armutserfahrene, Helfer*innen und Bürger*innen, denen die Lebenssituation und Zukunft der Menschen in Köln am Herzen liegt.